Freitag, 23. Dezember 2011

Dezember 2011 / Wahlen, Weihnachten und Winterwetter

Schon wieder sind fast zwei Monate vergangen und hier ist es tiefer Winter. Heute möchte ich mal etwas vom täglichen Leben erzählen.
Regierungsgebäude in der Innenstadt von Ekatarinburg

Meine Schule, Essen und Kultur
Die Schule, in die ich hier in Ekatarinburg ein Jahr lang gehe, befindet sich 30 Minuten von da wo ich wohne entfernt. Hin und her fahre ich mit dem Tram. Es ist eine Schule spezialisiert auf Englisch. Es wird jedoch mit Französisch noch eine zweite Fremdsprache gelehrt, was hier in der Stadt schon ein bisschen Speziell ist. Die Lehrer der Fremdsprachen sind aus meiner Sicht aber katastophal schlecht...
Bei den tieferen Klassen herrschen strenge Kleiderregeln, doch in meinem Alter ist es nicht mehr so wichtig, dass man jeden Tag im Anzug und mit schwarzen Schuhen zur Schule kommt.
Im Unterschied zur Hopro, meiner Schule in der Schweiz, suchen hier die Lehrer keinen "konstruktiven Disput" mit den Schülern. Es ist voll der Frontalunterricht - gähn.
Toll ist an meiner Schule, dass die Lehrer etwa ein Mal im Monat am Abend etwas für die kulturelle Bildung der Schüler organisieren. So war ich schon mehrere Mal im Theater, im Zirkus und im Ballett.
Die Essensmöglichkeiten in der Schule sind wirklich ausgezeichnet. Das Essen ist sehr billig und gut. Für 40 Rubel (1.30 CHF) erhält man ein gutes warmes Essen mit Tee und süßem Dessert. Überhaupt sind diese Kantinen, die es in Ekatarinburg überall gibt, auch für russische Verhältnisse sehr günstig und gleichzeit auch gut. Hier ist es billiger, warm in einer solchen Kantine zu essen als schnell-schnell an einem Kiosk irgendwas Kleines zu kaufen. Das ist wirklich super. 
Mein tägliches Transportmittel

 Was ich auch total geniesse ist, dass auch Tickets für Theater-, Ballett und Musikvorstellungen total billig sind. Gestern war ich im städtischen Opern- und Ballettheater und habe mir Tschaikowskis „Schwanensee“ angeschaut - sensationell. So ist meine Russlandzeit bisher auch eine Zeit, in der ich viel mehr von klassischer Kultur mitbekomme als je zuvor in Zürich. Hier ist das einfach viel wichtiger und viele Leute gehen hin.


Nichts mit "Stille Nacht, heilige Nacht"
Weihnachten spielt für die Russen eine sehr kleine Rolle. Da zu Sowjetzeit die Religion konsequent unterdrückt wurde, hat die Neujahrsfeier die zentrale Bedeutung eingenommen Russische Weihnachten würde nach dem orthodoxen Kirchenkalender am 7.Januar gefeiert, aber das ist in meinem Umfeld kaum ein Thema. Also auch kein Weihnachts-Shopping-Stress in diesem Jahr:-)
Meine Wohngegend, noch ohne Schnee
Am Neujahr trifft man sich, wie bei uns, mit Familien und Freunden und feiert sehr ausgelassen. Ich werde bei meiner Gastfamilie dabei sein und freu mich auf das Fest trotz potentiellem Kater am nächsten Tag...

Grad nachher, am 2. Januar, fahre ich mit dem Zug nach Moskau. Alle Austauschschüler aus der ganzen Welt, die aktuell in Russland sind, werden dort sein. Die Fahrt wird 26 Stunden dauern und ich freue mich schon extrem, noch mehr vom Land zu sehen. Meine erste Reise nach Surkut war einfach supercool, ich hab so viel erlebt, und ich hoffe, dass wird mir bei meinem Moskau-Trip wieder passieren. Und dazu bin ich natürlich extrem gespannt, wie's allen anderen geht. Wir hatten uns schon nach unserer Ankunft in Russland für ein erstes Camp getroffen. Ich glaube, es waren Studenten aus etwa dreissig Länder dort. Ich freue mich darauf, mit ihnen ein paar Tage in Moskau zu verbringen.  


Wahlen in Russland
Die Wahlen der Staatsduma in Moskau waren für mich sehr spannend. Ich habe mich im Vorfeld sehr stark für sie interessiert und mich informiert und bin zudem mit meinen Gasteltern mitgegangen, als sie wählen gingen. Ich freue mich bereits auf die Präsidentschaftswahlen, die im nächsten März stattfinden werden.
Lenindenkmal im Schnee
Gewählt wird in Russland vor allem in Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Die Leute erhalten die Stimmzettel vor Ort und wählen zuerst eine Partei und danach die Kandidaten.
Zur Wahl waren 7 Parteien zugelassen. Andere Parteien, die aus Sicht der Regierung zu extreme Positionen vertreten, wurden nicht zugelassen.
In den Wochen vor den Wahlen habe ich sehr häufig TV-Debatten zwischen zwei Vertretern konkurierender Parteien geschaut. Es ist meiner Meinung nach keinesfalls so, dass, wie bei uns immer berichtet, eine Zensur im TV stattfindet und sich nur die Regierungspartei präsentieren kann.

Hier habe ich von Protesten nichts mitbekommen, obwohl es sie in Moskau und Petersburg sicherlich gab. Jedoch wurden diese von westlichen Medien propagandistisch ausgeschmückt. So zeigte der US-Sender Fox, wie hier von russischen Sendern aufgedeckt, blutige Krawalle aus Griechenland und wollte sie dem westlichen Fernsehzuschauer als Proteste gegen die Regierung verkaufen.
Birkenwälder, ein wenig Ausserhalb
Ich bin überzeugt, dass es während den Wahlen zu kleineren Fälschungen gekommen ist. Die Fälschungen waren meiner Meinung nach jedoch weder dafür verantwortlich, dass die Regierungspartei als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgegangen ist noch wurden sie von Moskau aus von Putin oder sonst wem initiiert, sondern wurden von lokalen Gouverneuren und Präsidenten der Republiken Russlands veranlasst. Diese lokalen "Herrscher", die teilweise wie Könige leben, fürchten um ihren Sitz, den sie vom Präsidenten zugesprochen bekommen. Das Problem liegt also meiner Meinung nach am System, dass die Governeure von Moskau aus ernannt werden. Wenn in ihrer Region die Regierungspartei nicht gewinnt, kann es sie ihre Macht kosten und deshalb ist ihr Interesse groß, dass die Regierungspartei möglichst viel Prozentpunkte in ihrem Gebiet holt.
Obwohl viele Leute mit der Regierungspartei nicht einverstanden sind, stehen die Meisten - so ist mein Eindruck aus den Gesprächen, die ich hier gehabt habe - hinter Wladimir Putin, der ihnen ihren Nationalstolz zurückgegeben hat und das von Jelzin an Oligarchen veräußerte Land wieder zu einer gewissen Stärke geführt hat. Seine Partei selbst ist jedoch nicht ganz so beliebt, weil sich in ihr auch viele Gauner eingefunden haben, um Karriere zu machen und die Chancen für ihre Geschäfte zu verbessern.

In der Nachbarschaft unserer Wohnung
Kurz vor den Wahlen waren viele in unserer Oblast (Bezirk in Russland) sehr erzürnt, weil der hiesige Gouverneur, der sich bei einem von seinem Fahrer verschuldeten Unfall bei etwa 180 km/h schwer verletzt hatte, bekannt geben liess, für ihn sei die medizinische Versorgung (für die er schliesslich mitverantwortlich ist), nicht gut genug und sich deshalb auf Kosten der Steuerzahler nach Deutschland in monatelange Pflege ausfliegen ließ, während ein anderer am Unfall beteiligter Verletzter im Krankenhaus starb....